Das strukturelle Defizit durch Mehreinnahmen ausgleichen

Veröffentlicht: 2. Februar 2024

Im obligaten Jahresinterview mit der Buchsi Zytig zieht die neue Buchser Gemeindepräsidentin Livia Stauer Bilanz über das Jahr 2023 und blickt voraus, was Herzogenbuchsee in nächster Zeit beschäftigen wird. In der Rubrik «Was macht eigentlich...?» äussert sich Livia Stauer, die von null auf hundert zu ihrem Amt kam, zusätzlich über ihre Motivation, als Gemeindepräsidentin für Buchsi tätig zu sein.

Sie sind vor einem halben Jahr für viele überraschend als Neuling ohne Exekutiverfahrung Gemeindepräsidentin geworden. Wie haben Sie sich eingelebt; wie erlebten Sie den Einstieg?

Ich bin von null auf hundert zu meinem Amt als Gemeindepräsidentin gekommen. Dabei war ich vor allem zu Beginn auf Unterstützung durch die Verwaltung und meine Gemeinderatskolleginnen und -kollegen angewiesen. Ich bin anfangs der zweiten Jahreshälfte eingestiegen, mitten in die Budgetdiskussion – das war ein happiger Einstieg für mich. Auch jetzt habe ich noch nicht ein ganzes Kalenderjahr erlebt und werde erst sehen, was in der ersten Jahreshälfte üblicherweise ansteht. Allgemein merke ich aber, dass das Rad langsam in Schwung kommt. Ich musste mir über Vieles überhaupt zuerst einen Überblick verschaffen.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit im Gemeinderat?

Im Februar wird der Gemeinderat eine Klausurtagung abhalten und sich mit der Strategie unserer Gemeinde sowie der Behörden- und Verwaltungsorganisation befassen. Sich einen ganzen Tag lang als Team zu treffen und sich für ein Thema Zeit zu nehmen, wird uns in der Sache, aber auch als Gremium vorwärtsbringen. Ansonsten halten uns natürlich auch die übrigen Legislaturziele auf Trab.

Welche besonders?

Ganz aktuell beschäftigt mich das Thema Wasser. Dies wird in Zukunft ein wichtiges Thema bleiben, darum tun wir gut daran, uns darum zu kümmern. Die Starkregenereignisse in den letzten Sommern haben gezeigt, dass es Massnahmen braucht in Buchsi. Auch diesen Winter fallen die lang andauernden Regenfälle auf. Im Gegensatz dazu fehlt im Sommer das Wasser wegen der Hitze. Im Rahmen der Nachführung des generellen Entwässerungsplans (GEP) haben wir die Möglichkeit, Lösungen umzusetzen.

Eines der Haupthemen dürften daneben die Gemeindefinanzen sein?

Weiterhin beschäftigt natürlich das Finanzthema. Aber es muss nicht immer das Erste sein, das man von Buchsi hört. Wir sind daran, auf die finanziellen Verhältnisse zu reagieren. Dem Gemeinderat fehlt nicht etwa der Mut, Einsparungen zu machen und Beträge zu streichen – sonst hätten wir den  erwarteten Gegenwind zur Streichung der Weihnachtsbeleuchtung und den medialen Rummel zum Thema wohl kaum in Kauf genommen. In einem Dorf mit zahlreichen Anspruchsgruppen lässt sich nur schwer erörtern, was gestrichen werden soll, beziehungsweise, wo es am wenigsten weh tut. Bei der Weihnachtsbeleuchtung haben wir zeitgleich mit dem Entschluss, diese für Weihnachten 2023 zu streichen auch verkündet, im Juni 2024 die Bevölkerung zu befragen, ob die Gemeinde die Weihnachtsbeleuchtung zukünftig finanzieren soll oder nicht. Wer weiss, vielleicht zeichnet sich auch eine andere Lösung ab, z.B. mit Sponsoren? Wir werden die Möglichkeiten prüfen und die zugehörigen Fakten im Juni diesen Jahres aufzeigen.

Die meisten Ausgaben sind gebunden; der Spielraum auf der Kostenseiten ist für eine Gemeinde per se klein. Wo sehen sie noch Möglichkeiten beim Sachaufwand zu sparen?

An der zweiten öffentlichen Veranstaltung zum Thema Finanzen im September 2023 wurde vom Gemeinderat aufgezeigt, dass im Budget 2024 im Sachaufwand ca. 435’000 Fr. disponibel, also nicht zwingend notwendig oder gebunden sind. Alle anderen Ausgaben sind betriebsnotwendig oder gebunden und können daher nicht auf das nächste Jahr gestrichen werden. Unter die disponiblen Ausgaben fallen etwa der Unterhalt der Fussballanlage Waldäcker, der freiwillige Schulsport, kulturelle Anlässe wie Jungbürger- und Neuzuzügeranlass, Bundesfeier, Kultur-, Sport-, und Sozialpreis, Arbeitslosen- und Hausbesuchsprogramm, Umweltschutz und die Weihnachtsbeleuchtung. Es liegt in der Kompetenz des Gemeinderats, diese Budgetposten zu streichen oder zu kürzen. Die Finanzkommission hat dazu entsprechende Anträge gestellt, wovon der Gemeinderat Streichungen und Kürzungen beschlossen hat. Die disponiblen Kosten von 435’000 Fr. wurden so auf 340’000 Fr. heruntergekürzt. Unter den disponiblen Kosten befinden sich jedoch Posten, deren kurzfristige Streichung für die Betroffenen einschneidende Probleme mit sich bringen würden. Wenn beispielsweise der Unterhalt für die Fussballanlage Waldäcker gestrichen würde, müsste der FC Buchsi  innert kürzester Zeit andere Lösungen finden, um das Trainings- und Matchangebot aufrecht zu erhalten. Streichungen und Kürzungen im Budget sollen fair, mit einem zeitlichen Vorlauf, angezeigt werden, damit die Betroffenen Zeit haben alternative Lösungen zu finden. Wir befinden uns auf dem Weg dazu, die Kosten für die Fussballanlage zu senken. Die Verwaltung wurde vorerst für
das Jahr 2024 beauftragt, 50’000 Franken im Unterhalt der Fussballanlage einzusparen. Der FC stellt für viele Kinder- und Jugendliche sowie Erwachsene ein wichtiges Angebot dar und leistet tolle Integrationsarbeit. Was mich besonders freut: An der Oberaargauer Sportgala 2023 erhielt der FC Buchsi die Auszeichnung als Verein des Jahres. Aber auch sonst gibt es hier viele attraktive Vereine, welche zeigen, dass wir ein Dorf sind, welches lebt und Buchsi über die Gemeindegrenze hinaus bekannt machen.

Einsparungen werden das Problem nicht lösen. Um den Buchser Finanzhaushalt nachhaltig zu sanieren und das seit Jahren bestehende strukturelle Defizit abzubauen, braucht es mehr Steuereinnahmen. Wie sehen Sie das?

In der Tat: Das Problem des strukturellen Defizits, welches Buchsi seit Jahren mit sich herumträgt, wäre nicht einmal durch die radikale Kürzung aller disponiblen Ausgaben gelöst. Das Budget 2024 würde immer noch über eine halbe Million Franken Defizit aufweisen. Durch Einsparungen allein kann unsere finanzielle Situation also nicht gelöst werden. So bleibt einzig die Möglichkeit, das Defizit durch Mehreinnahmen auszugleichen. Gemäss Recherche der Berner Zeitung nahm Buchsi Ende Jahr 2023 Platz 115 von 338 der steuergünstigsten Gemeinden im Kanton Bern ein (Beispiel berechnet für arbeitende Paare mit zwei Kindern, variiert je nach Situation). Wir sind dem Steuerparadies also näher als der Steuerhölle.

Livia, was macht man eigentlich als Gemeindepräsidentin?

Als Gemeindepräsidentin stehe ich dem Gemeinderat sowie der Gemeindeversammlung vor. Ich vertrete die Gemeinde nach aussen und informiere die Öffentlichkeit. Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats beraten und beschliessen wir Gemeindegeschäfte oder bereiten sie zu Handen der Gemeindeversammlung oder für eine Urnenabstimmung vor. Ausserdem arbeite ich in verschiedenen Organisationen mit, z.B. bin ich von Amtes wegen im Vorstand des Vereins Region Oberaargau.

Warum lohnt es sich, für die Gemeinde Herzogenbuchsee tätig zu sein?

Buchsi hat als Gemeinde viel zu bieten für uns Einwohnerinnen und Einwohner; dies soll auch so bleiben. Seit der Corona-Pandemie ging es in Buchsi turbulent zu und her. Die Zeit ist reif, dass wieder Ruhe in die Gemeinde einkehrt. Mit Ruhe meine ich nicht etwa Stillstand, sondern Weiterentwicklung als Ort, in welchem Menschen gerne leben, welcher floriert, der etwas zu bieten hat. Wir stellen in der kantonalen Ordnung ein Zentrum 4. Stufe dar, was keineswegs unbedeutend ist. Buchsi verfügt über Einkaufsmöglichkeiten, Arbeitsplätze, medizinische und pflegerische Angebote, Kultur- und Freizeitmöglichkeiten, wunderschöne Naherholungsgebiete, einen Bahnhof mit Anschluss an den Fernverkehr, gute Schulen und vieles mehr. Etwas möchte ich an dieser Stelle besonders hervorheben: Am 5. Dezember war Tag der Freiwilligenarbeit. In Buchsi wird von zig Menschen freiwillige Arbeit geleistet. Dafür danke ich im Namen des Gemeinderats herzlich. Es ist schön zu merken, wie vielen Leuten unser Dorf am Herzen liegt.

Welches sind Ihre Ziele; was wollen Sie ganz konkret für Buchsi tun?

Obwohl ich bereits viele Termine mit Leuten, Firmen und Vereinen wahrgenommen habe, habe ich noch längst nicht alle getroffen. Mir liegt viel daran, die verschiedenen Akteure persönlich kennen zu lernen und mit eigenen Ohren zu hören, was sie beschäftigt. Ich bin interessiert, die Anliegen aufzunehmen, möchte aber nicht den Anschein erwecken, dass ich allein von heute auf morgen viel verändern kann. Handfeste Veränderungen brauchen meistens Zeit, damit sie s chliesslich breit abgestützt und akzeptiert sind. Ich habe während meiner kurzen Amtszeit bereits eine Vielzahl von innovativen Menschen aus Buchsi kennen gelernt. Ich bin überzeugt, dass wir bereichernde Projekte auf die Beine stellen können, wenn wir diese Vielfalt nutzen.

Wie verträgt sich Ihr Ehrenamt für die Gemeinde Herzogenbuchsee mit Ihrem Privatleben?

Den unregelmässig zeitlichen Aufwand von durchschnittlich fünf Stunden werktags, manchmal auch am Wochenende, sowie zusätzliche Abendsitzungen und Repräsentationsanlässe habe ich mittlerweile in den Griff bekommen. Da ich im Gemeindehaus kein eigenes Büro habe, arbeite ich viel von zu Hause aus und kann über den Mittag Familienzeit geniessen. Ich werde öfter gefragt, wie viel ich durch mein Amt verdiene. Dies ist kein Geheimnis und im Anhang II Ziffer 1 zum Personalreglement ersichtlich. Ich erhalte von der Gemeinde monatlich 3’519 Franken, inkl. 175 Franken Spesen ausbezahlt. Da ich auf ein grösseres Einkommen angewiesen bin, wird es mein Ziel sein, ab Sommer 2024 eine Arbeitsstelle in kleinem Pensum mit äusserst flexiblen Arbeitszeiten und der Möglichkeit für Home-office zu finden – dies wird unter diesen Bedingungen nicht einfach sein.

Vieles, was in der Politik und in der Verwaltung geschieht, ist von Vorurteilen geprägt – was Sie den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Zu sammenhang schon lange einmal sagen wollten?

Einige Leute stellen sich vor, der Gemeindeverwalter Rolf Habegger habe die politische Gemeindeführung übernommen, da ich neu und unerfahren im Amt bin. Da muss ich widersprechen. Es stimmt, dass der Gemeindeverwalter für mich im Ressort Präsidiales eine enorme Stütze ist und mir aufzeigt, welche Aufgaben anstehen. Die Aufgaben des Gemeindeverwalters und des Gemeinderats sind jedoch klar getrennt: Der Gemeindeverwalter erfüllt die operativen Aufgaben, der Gemeinderat ist strategisch tätig. Die Entscheidungen, welche der Gemeindeverwalter in der Erfüllung der operativen Aufgaben zu treffen hat, richten sich nach den gesetzlichen Grundlagen. Sein Spielraum ist eng begrenzt. Für Fragen mit politischem Inhalt ist der Gemeinderat zuständig.

Noch ein Wort zum Schluss?

Das Miteinander im Gemeinderat erlebe ich positiv, auch wenn wir verschiedene Meinungen vertreten. Wir nehmen unseren Auftrag, gemeinsam einen Weg zu finden, sehr ernst. Wie schon oft erwähnt, ist es dem Gemeinderat wichtig, informativ und transparent zu sein. Von den Besucherinnen und Besuchern der Gemeindeversammlung im Dezember 2023 wurde unser Ansatz, mehr Informationen an der Versammlung zu präsentieren, durch alle Reihen hindurch geschätzt. Wir erhielten zahlreiche positive Rückmeldungen, wofür wir sehr dankbar sind. Diese Rückmeldungen zeigen mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind und geben mir Energie, meine neue Aufgabe je länger je mehr auszufüllen.